Von Truls Lynne Hansen,
Geophysischen Observatorium Tromsø - Universität zu Tromsø.
Das Nordlicht gleicht nichts anderem am Himmel. Sonne, Mond, Sterne und Planeten gehören zu dem Ewigen, Regelmäßigen und Vorhersagbaren im Leben der Menschen. Das Nordlicht hingegen ist flüchtig, wechselhaft und unberechenbar. In ihm demonstriert der Kosmos seine elektrischen und magnetischen Kräfte und bringt Farben und Bewegungen hervor, die in der Natur einzigartig sind. Fotografien davon sind blasse, bewegungslose Schatten des wirklichen Erlebnisses. Das Nordlicht muss man draußen sehen und erleben, unter einem kalten, stillen Winterhimmel. Das Nordlicht – Aurora borealis - kann in seltenen Fällen von jedem Ort der Erde aus gesehen werden. Im Februar 1872 sah man zum Beispiel des Nordlicht von Bombay bis nach Ägypten, und im September 1909 wurde es von Singapur bis Jakarta beobachtet! Vor allem aber ist es in den Polgebieten der Erde zu Hause. Am häufigsten kommt es in einem Gürtel im Abstand von ungefähr 2500 km rund um den magnetischen Pol vor. Diese sogenannte Nordlichtzone erstreckt sich über Nordskandinavien, über Island und die Südspitze von Grönland, durch das nördliche Kanada, über Alaska und längs der Nordküste von Sibirien. Die Küste von Troms und der Finnmark liegt dort, wo die Häufigkeit am größten ist. Es ergibt sich von selbst, dass Nordnorwegen auf Grund seiner bequemen Erreichbarkeit und seines milden Winterklimas anziehend ist für Menschen, die dieses Himmelsphänomen sehen wollen. Rund um den südlichen Magnetpol gibt es eine völlig äquivalente Zone. Dieses "Südlicht" - Aurora australis - wird im Großen und Ganzen nur von der Antarktis und den darumliegenden Meeresgebieten aus gesehen. Von den bewohnten Strichen der südlichen Halbkugel sind es nur Tasmanien und das südliche Neuseeland, von wo aus man oft einen Schimmer davon zu sehen bekommt. Das Nordlicht und das "Südlicht" treten übrigens gleichzeitig auf und sind fast wie Spiegelbilder voneinander. In der Nordlichtzone ist das Nordlicht ein alltägliches Phänomen. Von wissenschaftlichem Standpunkt aus betrachtet kann man gut und gerne behaupten, dass Nordlichter jede Nacht auftreten. Aber ein Teil von ihnen ist so schwach, dass sie von den Menschen meist kaum beachtet werden. Von touristischem Standpunkt hingegen ist es indessen kaum übertrieben, zu sagen, dass wir in Troms und in der Finnmark Nordlichter in mindestens jeder zweiten klaren Nacht sehen können. Gehen wir weiter nach Südnorwegen, wird es einige wenige Male im Monat vorkommen, und im Mitteleuropa wird man es vielleicht einmal im Jahr sehen. Im Mittelmeerraum gehört das Nordlicht zu den sehr seltenen Ereignissen, die vielleicht nur wenige Male in hundert Jahren eintreffen. Und es kommt vor in den Polargebieten innerhalb der Nordlichtzone selbst. Demzufolge gibt es auf Spitzbergen weniger Nordlichter als in Nordnorwegen. Wir verbinden das Nordlicht mit Winter, aber eigentlich kommt es das ganze Jahr über vor. Wir können es in den hellen Nächten nur nicht sehen, die Sonne muss ein gutes Stück unter dem Horizont sein. In der Praxis ist das Nordlicht auf den Zeitraum von Anfang September bis Mitte April begrenzt. Starke Nordlichter jedoch sind jedoch auch vor einem ganz hellen Himmel sichtbar. In Nord-Norwegen ist es zum Beispiel nicht ungewöhnlich, ein Nordlicht am einem Abendhimmel im August zu sehen. Das Nordlicht, welches wir in Nordnorwegen sehen, nennen wir oft Nachtnordlicht, weil es auf der Nachtseite der Erde liegt. Es beginnt oft am Nachmittag oder am Abend und dauert mit wechselnder Stärke oft bis weit in die Nacht hinein. Dieses ist die gewöhnliche Form des Nordlichts. Aber in der Dunkelzeit auf Spitzbergen können wir auch ein Schimmern des Tagesnordlichts sehen, welches auf der Tagseite der Erde vorkommt. Das Nordlicht liegt hoch über der Wolkendecke, so dass klares Wetter herrschen muss, um es zu Gesicht zu bekommen. Das Wetter ist folglich das bedeutendste Hindernis bei der Nordlichtbeobachtung in Nordnorwegen. Das stabilste Winterwetter mit klarem Himmel haben wir zweifellos in den inneren Fjordgebieten und im Landesinneren. Für Nordlichttouristen sind diese Gebiete der Küste wohl vorzuziehen. Die Tage um Vollmond herum sind nicht die besten für Nordlichtbeobachtungen. Der Himmel wird dann so hell, dass die Erlebnisse ziemlich verblassen. Eigentlich muss man weg von den Städten und Ortschaften mit viel Licht, um die volle Ausbeute eines Abendhimmels voller Nordlicht zu erlangen. Das vergessen wir oft. Die Menschen heute sind so umgeben von künstlichem Licht, dass sie die Dunkelheit "verloren" haben und vergessen haben, wie der Sternhimmel aussieht. Die Höhe des Nordlichts über dem Boden war lange ein umstrittenes Thema. Um 1900 herum gab es viele Leute, die behaupteten, das Nordlicht könnte bis zum Boden reichen, aber ob es in wenigen Kilometern Höhe lag oder viele hundert Kilometer hoch, war unklar. Das Problem wurde durch gleichzeitiges Fotografieren von zwei Stellen aus gelöst. Bei geeigneter Wahl des Abstandes zwischen den zwei Stellen konnte man durch Vergleich der Bilder die Verschiebung des Nordlichts im Verhältnis zu den Sternen bestimmen und auf dieser Grundlage die Höhe berechnen. Tausende solcher Triangulationen wurden von 1910 an bis in die 1950-er Jahre hinein durchgeführt. Sie zeigten, dass das Nordlicht zwischen 90 und 130 km über dem Boden liegt, und dass viele Nordlichter, besonders die strahlenförmigen, sich bis in einige hundert Kilometer Höhe erstrecken. Zum Vergleich – die gewöhnliche Flughöhe eines Düsenjets beträgt ca. 10 km, und die Ozonschicht liegt bei 20 bis 30 km Höhe. Fast bis zu den Satelliten hinauf müssen wir gehen, um das Nordlicht zu finden. Eine Folge der großen Höhe ist, dass das Nordlicht über Entfernungen von mehreren hundert Kilometern sichtbar ist. Somit wird ein Nordlicht über der Bäreninsel von Nordnorwegen aus ebensogut gesehen wie von Spitzbergen aus, und ein Nordlicht über der Finnmark ist am Nordhimmel von Trøndelag sichtbar. Das Sonnenlicht beinhaltet alle Farben des Regenbogens in einem kontinuierlichen Spektrum von Blau über Grün und Gelb zu Rot. Im Nordlicht dagegen ist das Licht in einer Auswahl von schmalen Farbbändern, sogenannten Spektrallinien, vereint. Das Nordlicht entsteht, wenn große Mengen von elektrischen Partikeln (Elektronen) mit großer Geschwindigkeit längs des Magnetfeldes der Erde eintreffen und mit den oberen Schichten der Atmosphäre kollidieren.Den Molekülen und Atomen im Gas wird dann Energie zugeführt, die sie als Lichtschein wieder aussenden. Der Vorgang gleicht ein wenig dem, was in einer Leuchtstoffröhre geschieht. Die Spektrallinien spiegeln wider, welche Gase dort oben vorhanden sind. Es zeigt sich, dass das Nordlicht von Spektrallinien dominiert ist, die von gewöhnlichen Gasen wie Stickstoff und Sauerstoff herrühren. Aber die Sauerstoffmoleküle werden vom Sonnenlicht aufgespalten, so dass atomarer Sauerstoff vorliegt (O), während einige der Stickstoffmoleküle (N2) ein Elektron verloren haben und ein positives Ion (N2+) geworden sind. Das Nordlicht ist von einer gelb-grünen Farbe geprägt, aber hat auch einen deutlichen Einschlag von Blau. Das Gelb-Grün wird von einer starken Linie des Sauerstoffes (O) verursacht, während das Blau von N2+ kommt. Wenn das Nordlicht einen rot-violetten Einschlag an der Unterkante hat, sind dies rote Linien von N2 , die sich zeigen. Wird es rot in den oberen Teilen, ist es wieder atomarer Sauerstoff (O), was wir sehen. Während großer Nordlichtausbrüche kann dieses Sauerstofflicht sehr stark hervortreten und große Teile des Nordhimmels von Südskandinavien sogar bis Mitteleuropa tiefrot färben. Es war dieses rote Nordlicht, welches im Mitteleuropa früherer Jahrhunderte Angst und Schrecken verbreitete. Das Licht eines richtig starken Nordlichts kann sich mit dem Licht des Vollmondes messen, aber meist ist es um einiges schwächer. Normalerweise ist es inzwischen kein Problem, das Nordlicht zu fotografieren. Eine Kamera auf Stativ mit lichtstarkem Objektiv (maximale Blendenöffnung mindestens 1:1.8) und ein empfindlicher Film (400 ISO) ist alles, was man benötigt. Damit kann man auf Belichtungszeiten von ungefähr 1 Sekunde herunterkommen und auch feine Details festhalten, die bei langen Belichtungszeiten oft verloren gehen. Es gibt viele Berichte über Schall im Zusammenhang mit dem Nordlicht. In stillen Nächten mit außergewöhnlich starkem Nordlicht, so erzählen Leute, hören sie einen knisternden Laut. Wissenschaftliche Instrumente haben dieses Phänomen noch nicht registrieren können, aber gleichwohl muss man es vor dem Hintergrund der vielen zuverlässigen Aussagen als wirklich vorhanden ansehen. Es ist völlig ausgeschlossen, dass uns der Schall aus 100 km Höhe erreicht. Aber wir wissen, dass das Nordlicht von einem kräftigen elektrischen Feld begleitet ist, welches am Boden registriert werden kann. Vermutlich ist der Schall dessen Ergebnis, entweder durch elektrische Entladungen oder durch direkte Einwirkung auf unsere Gehörnerven. Das Nordlicht entsteht in einem komplizierten Zusammenspiel zwischen dem sogenannten Sonnenwind und dem Magnetfeld der Erde. Der Sonnenwind ist ein stetiger Strom von elektrischen Partikeln aus der Sonne. Er variiert in der Stärke, darum ist das Nordlicht mit der Sonnenaktivität verknüpft. Der Sonnenwind streicht entlang des Magnetfeldes der Erde, drückt dieses auf der Tagseite zusammen, zieht es auf der Nachseite in einem Schweif auseinander und schafft elektrische Ströme und Felder um die Erde herum. Ein Teil der Sonnenpartikel verfängt sich im Magnetfeld der Erde, und zusammen mit Partikeln aus der Erdatmosphäre landen sie draußen im Magnetfeldschweif auf der Nachseite. Durch Mechanismen, die wir noch nicht richtig verstehen, erhalten sie dort zusätzliche Energie, strömen mit großer Geschwindigkeit in die Polargebiete ein und geben uns das Nachtnordlicht. Diese unvorhersagbaren Schauer von elektrischen Partikeln, die vom Magnetfeld der Erde bestimmt werden, geben dem Nordlicht seine Farben und Bewegungen. Als hastige Böen fegen sie hinweg und formen Bögen, Draperien und Strahlen. Das Magnetfeld ist der Schlüssel, warum das Nordlicht die Polargebiete bevorzugt. Die elektrischen Partikel bewegen sich am leichtesten längs des Magnetfeldes und treffen ganz unten in der Atmosphäre auf die Polargebiete, weil das Magnetfeld hier fast senkrecht zur Erdoberfläche steht. Die meisten solcher Partikelniederschläge finden wir in einem Kreis um die magnetischen Pole vor, und in diesem Kreis liegt das Nordlicht wie ein geschlossener Heiligenschein rund um beide Pole. Dieses Augenblicksbild des Nordlichts nennen wir auch das Nordlichtoval. Auf der Nachseite der Erde kommen die Partikel vom Magnetfeldschweif und bilden das starke und aktive Nachtnordlicht. Auf der Tagseite kommen sie direkt vom Sonnenwind und bilden das schwächere und ruhige Tagnordlicht, das wir auf Spitzbergen sehen können, wo es in der Mitte des Winters rund um die Uhr dunkel ist. Das Nordlichtoval liegt mit Bezug auf die Sonne fest, während die Erde darunter rotiert. In Nordnorwegen tauchen wir in dieses am Nachmittag ein und passieren es im Laufe des Abends und der Nacht. Am Tage liegt das Oval nördlich von uns über Spitzbergen. Wenn die Sonnenaktivität hoch wird, kann sich das Oval nach Süden ausweiten, so dass wir in Troms und in der Finnmark nördlich auf seiner Innenseite bleiben, während wir große Nordlichtausbrüche über Südnorwegen und vielleicht noch weiter unten in Europa bekommen. Bei kleiner Aktivität zieht es sich zusammen, und es gibt Nordlichter nördlich von uns. Dieses ist dann meist auch schwach. Die Nordlichtzone gibt uns Aufschluss darüber, wo die Nachtseite des Ovals am häufigsten liegt. Die magnetischen Pole verschieben sich allmählich und nehmen die Nordlichtzone und das Nordichtoval mit sich. Über einen Zeitraum von einigen hundert Jahren kann die Verschiebung groß werden. Vor 500 Jahren lag die Nordlichtzone vermutlich über Südnorwegen, und vermutlich wird sie sich in den kommenden Jahrhunderten nach nordwärts von Norwegen bewegen. So gesehen haben wir jetzt ein günstiges Zeitalter mit Bezug auf das Nordlicht. Sollte das Magnetfeld verschwinden, verlieren wir das Nordlicht und bleiben sitzen mit einer blassen Erinnerung in Form eines diffusen Lichts über dem gesamten Nachthimmel.
Tromsø 1997-2000 |